Jetzt spenden
03.09.2020

Comundo warnt vor schwerwiegenden Corona-Folgen!

Die aktuelle Krise trifft armutsbetroffene Länder einiges stärker als bislang angenommen. Allein in Lateinamerika ist laut aktuellen Schätzungen der Vereinten Nationen bis Ende 2020 mit 45 Millionen Arbeitslosen zu rechnen. Nun warnt Comundo vor langfristigen sozialen und wirtschaftlichen Folgen und fordert das Parlament auf, seinem 0,5%-Versprechen endlich nachzukommen.

Für armutsbetroffene Kinder sind Folgen der Pandemie besonders stark. | Lizeth Salazar Bustos/AVE

Das Jahr 2020 steht ganz im Zeichen der Corona-Pandemie. Bislang noch unklar waren jedoch Prognosen zu langfristigen Folgen dieser globalen Krise. Nun wird klar: Covid-19 trifft armutsbetroffene Länder in Afrika und Lateinamerika massiv härter als bislang angenommen. Nicht in erster Linie hinsichtlich der Opferzahlen, als vielmehr in Bezug auf Folgen in den Bereichen Bildung, Einkommens- und Ernährungssicherheit oder auch häusliche Gewalt.  Mehr dazu in den Video-Berichten von Comundo-Expertinnen weiter unten.

Die dramatischen Folgen bestätigt auch Jürg Utzinger, Direktor des Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Instituts in einem Interview im Tagesanzeiger: «Selbst im besten Fall müssen wir damit rechnen, dass in den Entwicklungsländern mehr Menschen an den indirekten Folgen der Corona-Krise sterben als an Covid-19 selbst.»1

Internationale Zusammenarbeit wichtiger denn je

Somit ist klar: Es braucht dringend zusätzliche Mittel für die internationale Zusammenarbeit, um die Corona-Krise weltweit zu bewältigen. Doch wie reagiert die Schweiz? Der Nationalrat lehnte in der Sommersession nicht nur eine Erhöhung der Beiträge der Schweiz für 2021-2024 ab; sogar die vereinbarten 0,5% des Bruttonationaleinkommens werden nicht eingehalten – trotz der prekären Situation und den längerfristig verheerenden Folgen in vielen Entwicklungsländern: «Wir sind besorgt über diese mangelnde Solidarität der Schweiz und fordern eine Korrektur des Entscheids durch den Ständerat», sagt Erik Keller, Geschäftsleiter von Comundo. «Die Notsituation der Bevölkerung in unseren Einsatzländern erfordert sowohl Corona-Nothilfe und Präventionsarbeit als auch die Weiterführung langfristiger Aufbauarbeit, wie wir sie mit unseren Comundo-Fachleuten leisten.» 

Anstieg von Hunger und häuslicher Gewalt

Gerade in Lateinamerika, wo sich die Schweiz aus der bilateralen Zusammenarbeit zurückziehen will, ist die Situation besonders prekär. Die Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Lateinamerika und die Karibik ECLAC rechnet allein in diesem Jahr in ihrer Region mit einer Arbeitslosenquote von bis zu 13.5%. Somit ist ein Anstieg auf 45 Millionen Arbeitslose zu erwarten, rund 18 Millionen mehr als noch 2019. Dies bedeutet einen Anstieg der Armut um ganze 7 Prozentpunkte auf rund 37% (die extreme Armutsquote wächst dabei von 11% auf über 15%).2 

Mit einem Anstieg der extremen Armut sind die Menschen auch stärker von Ernährungsunsicherheit betroffen. Das Welternährungsprogramm schätzt nun die Zahl von Menschen, die bis Ende 2020 unter Hunger leiden, auf 270 Millionen. «In Lateinamerika erwarten wir den grössten Anstieg weltweit: Eine Zunahme um 269% 3», erklärt die Nicaragua-Expertin und Landesprogrammleiterin Natalie Gerlach. Wie sich diese Extremsituation insbesondere auf die Bevölkerung in Nicaragua auswirkt, erläutert sie in ihrer Videobotschaft. 

«Wir sind besorgt über diese mangelnde Solidarität der Schweiz» Erik Keller

Die schwächsten Mitglieder einer Gesellschaft wie Kinder und Frauen leiden dabei am stärksten. Der Grund: Sie sind oft mehrdimensional betroffen. Besonders deutlich zeigt sich dies in Ländern wie Bolivien oder Nicaragua, die von der Covid-19-Krise hart in Mitleidenschaft gezogen werden. Laut der Historikerin und Bolivienkennerin Janis Greminger bilden hier nicht nur Einkommensverlust und Hunger enorme Herausforderungen: «Ein grosses Problem sind in Ländern wie Bolivien auch die umfassenden Quarantänebestimmungen selber; denn diese bieten grossen Nährboden für vermehrte häusliche Gewalt», so Greminger. 

Bildungskrise in Afrika mit unabsehbaren Folgen

Laut der Weltbank waren per Ende Juli weltweit über eine Milliarde Schulkinder von Schulschliessungen betroffen, über 50 Millionen zumindest von Teilschliessungen.4  Doch die Folgen von Schulschliessungen in armutsbetroffenen Regionen wie in vielen Ländern Afrikas sind im Gegensatz zu wohlhabenden Staaten um ein Vielfaches schlimmer: In der Schweiz hatte die landesweite Umstellung auf Homeschooling innerhalb weniger Tage kaum Einfluss auf eine gesicherte Ernährung der Schulkinder. Anders in Regionen wie Namibia oder Sambia, wo Kinder wegen ihren oft langen Schulwegen eine Mahlzeit in der Schule erhalten – diese bleibt jetzt aus. Nun sind Eltern gezwungen, nicht nur für die zusätzliche Betreuungszeit der Kinder aufzukommen, sondern auch für zusätzliche Mahlzeiten. 5

Homeschooling ohne Internet?

Auch eine Umstellung auf «Homeschooling» ist in solchen Ländern mit grossen Problemen verbunden: Verfügen in der Schweiz laut dem Bundesamt für Statistik mehr als 95% aller Haushalte über Internetzugang, besitzen ärmere Haushalte im Globalen Süden oft weder Internetzugang, noch Zugang zu Laptops/Tablets. «Die aktuell soziale wie digitale Spaltung trifft dabei stark benachteiligte SchülerInnen besonders hart; diese sind dem hohen Risiko von Lernverlusten und Schulabbrüchen ausgesetzt, was verschiedene Formen von Ausgrenzung vergrössern wird», bestätigt Fachperson und Sambia-Kennerin Cora Jüttemann die Prognosen des Weltbildungsberichts. 6

Die Pandemie erfordert ein Umdenken – jetzt!

Die Corona-Pandemie zeigt auf, wie stark wir in der globalisierten Welt miteinander verbunden sind. Deshalb ist mehr denn je Solidarität über die Grenzen von Ländern und Kontinenten hinweg gefragt. Was es jetzt braucht, sind unmittelbare Nothilfe und Präventionsarbeit für Armutsbetroffene. Gleichzeitig muss die langfristige Aufbauarbeit, wie sie Comundo mit ihren Fachleuten seit Jahrzehnten leistet, zwingend weitergeführt werden, gerade auch in Lateinamerika, wo sich die Schweiz aus der bilateralen Zusammenarbeit zurückziehen will. Entwicklungsprojekte geben wichtige Impulse, damit Menschen in benachteiligten Ländern Lateinamerikas und Afrikas besser gewappnet den Folgen der Corona-Krise entgegentreten können. 


Quellen:

  1. «Indirekt trifft Covid-19 Afrika schwer» (Tagesanzeiger, 27. August 2020)
  2. Health and the economy: A convergence needed to address COVID-19 and retake the path of Zustainable development in Latin America and the Caribbean https://www.cepal.org/en/publications/45841-health-and-economy-convergence-needed-address-covid-19-and-retake-path
  3. WFP Coronavirus Pandemic - (Covid-19) External Situation Report #11, 24 July 2020 https://www.wfp.org/publications/covid-19-situation-reports?_ga=2.111172804.1735155839.1596788816-1632446801.1596788816
  4. World Bank Education and COVID-19: https://www.worldbank.org/en/data/interactive/2020/03/24/world-bank-education-and-covid-19 
  5. Covid-19 verschärft die Bildungskrise für Kinder in Krise- und Konfliktregionen: https://www.unicef.de/informieren/aktuelles/blog/covid-19-verschaerft-bildungskrise-fuer-kinder-in-krisenregionen/216146
  6. Weltbildungsbericht 2020 – Inklusion und Bildung: Für alle heisst für alle: https://www.unesco.de/sites/default/files/2020-06/weltbildungsbericht_2020_kurzfassung.pdf  

Video-Kurzberichte (siehe unten)


Folgen in Nicaragua: Videobericht von Natalie Gerlach, Landesprogrammleiterin in Nicaragua


Folgen in Bolivien: Videobericht von Janis Greminger, Historikerin und Comundo-Fachperson

Folgen in Sambia: Siehe Videobericht von Cora Jüttemann, Sambia-Kennerin und Comundo-Fachperson

Auswirkungen der Corona-Situation im Globalen Süden

Weiterführende Reportagen zur aktuellen Situation in unseren armutsbetroffenen Einsatzländern finden Sie hier:

Fachpersonen-Blog