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25.09.2019

«Wir machen die Stimme der Betroffenen öffentlich»

Seit Wochen stehen weite Teile Brasiliens und Boliviens in Flammen, verursacht durch wirtschaftlich motivierte Brandrodungen. Comundo-Fachperson Nicole Maron spricht über ihre Beobachtungen vor Ort.

Nicole Maron, Ende August bist Du für ein paar Tage in die Region Chiquitania im Osten Boliviens gereist, die besonders von den Waldbränden betroffen ist. Was hast Du dort angetroffen?
Nicole Maron: Wir haben Gemeinden besucht, die akut vom Feuer bedroht sind, und andere, an denen das Feuer schon vorübergezogen ist und grossen Schaden angerichtet hat. Wir hatten ausserdem die Gelegenheit, argentinische Feuerwehrleute bei der Arbeit zu begleiten und so direkten Einblick vor Ort zu gewinnen. Es gibt Zonen mit kilometerlangen Flächenbränden und bis zu zwanzig Meter hohen Flammen – dort kann auch die Feuerwehr nichts mehr ausrichten. Um zu verhindern, dass sich das Feuer weiter ausbreitet, werden Schneisen in den Wald geschnitten und von jeglichem brennbaren Material befreit. Doch auch in diesen Randzonen sieht man überall kleinere und grössere Feuer sowie Schwelbrände, landesweit wird von 80'000 Brandherden gesprochen. Mittlerweile sind rund 4 Millionen Hektaren Urwald zerstört – etwa die Fläche der Schweiz.

Was bedeuteten diese ausser Kontrolle geratenen Feuer für die Bevölkerung dort?
Es sind bisher zum Glück nur vereinzelt Häuser abgebrannt, doch viele Gemeinden haben ihre Felder und die Grasflächen fürs Vieh verloren und wissen nicht, wie sie ihre Tiere ernähren sollen. Ausserdem wird das Trinkwasser knapp und die Flüsse sind von der Asche so verschmutzt, dass das Wasser nicht einmal mehr zum Kochen verwendet werden kann. In manchen Dörfern wurden die Frauen und Kinder evakuiert, die Männer weigern sich in der Regel, ihre Gemeinden zu verlassen, denn damit würden sie sie unausweichlich dem Feuer überlassen.

Hohe gesundheitliche Risiken

Wie geht es den Menschen gesundheitlich?
Vor allem Kinder erkranken, bekommen auf Grund des verschmutzten Wassers Durchfall und wegen der hohen Rauchbelastung Probleme mit den Atemwegen. Den Rauch spüren wir noch in 400 Kilometern Entfernung in Santa Cruz, und der Himmel hat eine komische gelbe Farbe. Wie schnell sich dies auf die Gesundheit auswirken kann, habe ich vor Ort selbst erlebt. Nach den zwei Tagen im Wald war ich stark dehydriert und wurde mit einer leichten Rauchvergiftung ins Spital eingeliefert. Die Feuerwehrleute sagen, bei solchen Bedingungen müssen man bis zu acht Liter Wasser pro Tag trinken.

Und was ist mit den Tieren?
Zwanzig verschiedene Naturschutzgebiete mit weltweit einzigartiger Biodiversität sind von den Bränden betroffen. Insekten und langsamere Tiere wie Schildkröten, Gürteltiere und Faultiere verenden elendiglich, hunderte von Jahre alte Bäume verbrennen. Die Vögel sind die einzigen, die fliehen können, teilweise bis in die Städte. In Santa Cruz tauchen immer mehr Papageien und Tucane auf Balkonen und Bäumen auf, und die Bevölkerung ist dazu aufgerufen, Wasser für sie bereitzustellen. Vor Ort haben Tierärzt/innen Zentren aufgebaut, um die verletzen Tiere zu versorgen – viele kommen mit Verbrennungen an, dehydriert und unter Schock.

Wie reagiert die bolivianische Regierung auf diesen Notstand?
Verschiedene Bürgermeister haben auf lokaler Ebene den Notstand ausgerufen und erhalten finanzielle und personelle Unterstützung von der Departementsregierung. Die nationale Regierung dagegen bewegt sich nicht gross und will auch keinen nationalen Notstand ausrufen – eine Massnahme, die nötig wäre, um internationale Hilfe in einem Umfang zu erhalten, die wirklich etwas bewirken könnte. Doch die Solidarität unter der Zivilbevölkerung ist sehr gross, NGOs und Privatpersonen organisieren täglich Transporte mit Medikamenten und Verbandszeug, Wasser, Nahrungsmittel und Ausrüstung für die Freiwillige Feuerwehr in die Krisengebiete.

Brandrodungen sind eine probate Technik, um Waldgebiet urbar zu machen. Was ist dieses Mal anders? Wie konnte es zu dieser Eskalation kommen?
Brandrodungen werden von ländlichen Gemeinden seit jeher praktiziert, denn sie verfügen anders als die Agroindustrie nicht über die Maschinerie, um Wald in landwirtschaftliche Fläche zu verwandeln und für die Saat vorzubereiten. Normalerweise wird für die Brandrodung der erste Regen abgewartet, um zu vermeiden, dass das Feuer ausser Kontrolle gerät. Durch den Klimawandel kommt es aber immer häufiger vor, dass der Regen nicht oder zu spät kommt, und dadurch in der heissen, trockenen Zeit gebrandrodet wird – und dies erhöht das Risiko von Waldbränden gewaltig. Dazu kommen politische Faktoren. Vor wenigen Monaten hat die Regierung ein Dekret verabschiedet, das die erlaubte Parzellengrösse von 5 auf 20 Hektar erhöht hat und die Brandrodung explizit erlaubt. Doch im grossen Stil abgeholzt wird nicht von den Kleinbäuerinnen und Kleinbauern, sondern von der Agroindustrie. Um den wirtschaftlichen Aufschwung voranzubringen, wird der Fleisch- und Sojaexport immer weiter erhöht, vor kurzem wurde ein entsprechendes Abkommen mit China unterzeichnet.

Gesicherte Informationen für die Öffentlichkeit statt Fake-News

Du warst mit ACOVICRUZ vor Ort. Die Comundo-Partnerorganisation ist ein Dachverband von Komitees, die in 56 Gemeinden des Departements Santa Cruz die Bürgerkontrolle wahrnehmen. Als Journalistin und Fachperson unterstützt Du sie im Bereich der Kommunikation. Was war Dein Auftrag?
ACOVICRUZ ist Mitglied der Arbeitsgruppe für Klimawandel und Gerechtigkeit («Grupo de Trabajo Cambio Climático y Justicia»), einem nationalen Netzwerk, das sich im Bereich des Klimawandels engagiert. Im Auftrag dieses Netzwerks reisten wir in zwei Gruppen ins Krisengebiet, um die Öffentlichkeit, aber auch die Behörden und Politiker/innen mit gesicherten Informationen zu bedienen. Zurzeit sind viele Falschmeldungen im Umlauf, und mehr als über Massnahmen zur Lösung des Problems wird über politische Kampagnen und Schuldzuweisungen debattiert. Wir wollten die Stimme der betroffenen Menschen öffentlich machen, vor allem mit Fotos und Videos, die wir über die sozialen Netzwerke verbreiteten.

Und wie war die Resonanz? Konntet ihr etwas bewirken?
Die Informationen verbreiteten sich rasch, viele unserer Videos wurden tausende Male angeschaut und oft geteilt. In einer Gemeinde, in der der Bürgermeister die Situation wochenlang heruntergespielt und keinerlei Massnahmen ergriffen hatte, hatte unsere Publikation sowie ein Bericht der Departementsregierung zur Folge, dass er das Ausmass der Katastrophe realisierte, sich öffentlich entschuldigte und den Notstand ausrief.

Die Spuren nach drei Einsatzjahren

Ende Dezember wirst Du Deinen dreijährigen Einsatz mit Comundo bei ACOVICRUZ beenden. Wie beurteilst Du die Wirksamkeit Deines Engagements?
Vor meiner Zeit kümmerte sich bei ACOVICRUZ niemand um die Kommunikation. Mein Auftrag war, einen entsprechenden Bereich aufzubauen und die Arbeit von ACOVICRUZ und den angeschlossenen Komitees für Bürgerkontrolle in den 56 Gemeinden von Santa Cruz zu visualisieren. Oft geht es um Themen wie Machtmissbrauch und Korruption von Behörden, welche von öffentlichem Interesse sind und dokumentiert werden sollten. Der andere grosse Anspruch war, die Komitees besser untereinander zu vernetzen. Viele Gemeinden kämpfen mit denselben Problemen, wodurch der Austausch von Erfahrungen sehr hilfreich sein kann. Es ist uns gelungen, ein starkes Netzwerk aufzubauen, das nun auch unabhängig funktioniert.

Wie messt ihr den Erfolg?
In Bolivien läuft alles über Soziale Netzwerke wie Facebook oder WhatsApp. Wir sehen, wie sich die Komitees der verschiedenen Gemeinden dort austauschen und gegenseitig unterstützen, doch auch ausserhalb der virtuellen Welt finden immer mehr Treffen statt, und die Zusammenarbeit wächst. Früher haben die Komitees sich nur um Angelegenheiten in ihrer eigenen Gemeinde gekümmert, heute tun sie sich zusammen. Zum Beispiel, um ein Strassenbauprojekt zu überwachen, das fünf verschiedene Gemeinden betrifft. So haben sie eine breitere Basis und mehr Gewicht.

Und wie steht es um die Nachhaltigkeit Deines Einsatzes? Wie geht es bei ACOVICRUZ weiter im Bereich der Kommunikation?
ACOVICRUZ und seine Mitglieder möchten nicht mehr auf die regelmässigen Informationen und den Austausch verzichten. Ich bin seit einigen Monaten dabei, verstärkt Mitarbeiter/innen in verschiedenen Kommunikationsfeldern auszubilden – Soziale Netzwerke, Foto- und Videotechnik usw. Die Arbeit geht nach meiner Abreise weiter, das ist sicher.

Comundo sucht ja auch wieder eine Fachperson, die ACOVICRUZ in der Kommunikation unterstützt.
Ja genau. Ich habe mitgeholfen, das interne Networking und das Visualisieren der Arbeit aufzubauen. In einem nächsten Schritt geht es nun um die Medienarbeit nach aussen und die Zusammenarbeit mit unabhängigen Medien, mit Radiostationen und Zeitungsredaktionen. Eine entsprechende Kommunikationsstrategie haben wir dieses Jahr gemeinsam erarbeitet.

Veranstaltungen zur Sensibilisierung

Wie geht es für Dich persönlich weiter?
Ich werde nochmals einen Einsatz mit Comundo absolvieren. Ab Februar 2020 werde ich in Puno, Peru, für die Partnerorganisation IDECA tätig sein, und diese ebenfalls in der Kommunikation unterstützten. Bei IDECA werde ich vor allem mit indigenen Frauenorganisationen zusammenarbeiten. Doch vorher werde ich noch ein paar Wochen in der Schweiz verbringen. Gerade bin ich am Planen von diversen Veranstaltungen, um über mein Projekt und meine Erfahrungen zu berichten. Neben dem Einsatz vor Ort halte ich die Sensibilisierung der Menschen in der Schweiz als eine Hauptaufgabe von uns Fachpersonen. Und generell für die Entwicklungszusammenarbeit. Es ist mir sehr wichtig, aufzuzeigen, welche Konsequenzen der Lebensstil in der Schweiz auf die Länder des Globalen Südens hat. Zum Beispiel auch im Zusammenhang mit den Waldbränden. Schliesslich wird das Fleisch, für das der Regenwald abgeholzt wird, grösstenteils in Europa konsumiert.

Telefoninterview: Christa Arnet, Comundo Bilder und Videos: Nicole Maron (www.maron.ch); William Mauricio Moya; David Rampf