Von der Strasse zurück ins Leben
David‘s Alltag auf der Strasse war von Gewalt und Elend geprägt. Heute ist der junge Mann ein Vorbild für andere Jugendliche. Dank Sensibilisierung und Unterstützung gelang es ihm, seinem Leben eine Wende zu geben. Comundo-Fachperson Lisa Macconi berichtet, wie sie sich in Cochabamba für obdachlose Kinder und Jugendliche einsetzt.
In Cochabamba leben rund tausend Kinder und Jugendliche auf der Strasse. Mit etwa 400 von ihnen ist meine Partnerorganisation «Fundación Estrellas en la Calle (FEC)» in mehr oder weniger regelmässigem Kontakt. Die jungen Menschen leben weitgehend unsichtbar am Rande der Gesellschaft, oft in extremen Situationen. Wir versorgen sie mit Informationen und bieten ihnen verschiedene Aktivitäten an, um sie auf ihrem Weg in eine bessere Zukunft zu unterstützen. Oft sind es kleine Schritte, die ermöglicht werden: Kinder nehmen beispielsweise nach langer Zeit wieder Kontakt auf zu ihren Eltern, beschaffen Dokumente wie Ausweispapiere, die sie für den Schulbesuch benötigen, oder lassen sich bei gesundheitlichen Problemen behandeln. Immer wieder gelingen auch grössere Fortschritte, etwa der Einzug in eine eigene Wohnung oder die Abkehr vom Drogenkonsum – so war es auch bei David, von dem ich in diesem Beitrag erzählen möchte.
Als Waisenkind seiner Kindheit beraubt
Mit einem verwegenen Lächeln und einer langen Narbe im Gesicht, die von seinem harten Leben auf der Strasse zeugt: So lernte ich David kennen, als er an einer Gruppenaktivität im Rahmen unseres Präventionsprogramms PROTEJERES teilnahm. Damit wollen wir Kinder identifizieren, die von Kinderhandel oder sexueller Ausbeutung betroffen sind und sie bestmöglich unterstützen. Menschenhandel ist in Bolivien ein grosses Problem, im Jahr 2019 wurden fast 500 Fälle gemeldet.
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Bereits als Kind verbrachte David viel Zeit auf der Strasse. Dort war er mit Sicherheit häufiger anzutreffen als in der Schulbank. Für armutsbetroffene Familien in Cochabamba ist Bildung ein Luxus und statt zu lernen, müssen Kinder zum Unterhalt ihrer Familie beitragen. David war 10 Jahre alt, als seine Mutter an Krebs starb. Da er seinen Vater nie kennengelernt hatte, wurde er von einem Tag zum anderen Waise. Sein Onkel nahm ihn vorübergehend bei sich auf. Doch wegen der grossen Einsamkeit und Gewalt, die David erleiden musste, rutschte er immer mehr auf die Strasse ab. Er schloss sich einer Gruppe von obdachlosen Kindern und Jugendlichen an. Die einzige volljährige Person war ihr Anführer, der sie beschützte. Im Gegenzug mussten die Kinder und Jugendlichen stehlen, Drogen verkaufen und alle möglichen Jobs annehmen.
Der Wendepunkt mit 13 Jahren
Im Alter von gerade mal 13 Jahren hatte David bereits eine sehr schwierige und kriminelle Vergangenheit hinter sich. Nach sechs Jahren kam für ihn zum Glück der Wendepunkt. Ein Sozialarbeiter von FEC sprach David auf der Strasse an. Von da an nahm er regelmässig an unseren Angeboten teil. Endlich traf er auf Menschen, die ihm zuhörten, die seine Wut und Verzweiflung verstanden. Heute ist David 21 Jahre alt, wohnt zusammen mit seiner Freundin in einem Zimmer und verdient sein Geld mit Gelegenheitsjobs als Maurer.
«Viele Jugendliche haben eine ähnliche Lebensgeschichte wie David. Dank Ihrer wichtigen Unterstützung können wir uns wirkungsvoll für sie einsetzen.»
Lisa Macconi, Comundo-Fachperson und Soziologin
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Kommunizieren statt Gewalt ausüben
Mit seiner gewinnenden Art wurde David innert Kürze zum Star und hatte grossen Einfluss auf die ganze Gruppe. Seine Offenheit gab anderen den Mut, ihre Meinung zu äussern, seine Witze lockerten die heikelsten Situationen auf und der positive Wandel in seinem Leben inspiriert andere, es ihm gleich zu tun. Auf meine Frage, wie ihm die Gruppenaktivitäten gefallen hätten, antwortete David: «Ich habe verstehen gelernt, dass Gewalt nie die Lösung sein kann. Zudem konnte ich die Art und Weise, wie ich kommuniziere, verbessern und fühle mich stärker verantwortlich für andere. Gleichzeitig weiss ich jetzt, wie ich besser auf mich selbst aufpassen und riskante Situationen vermeiden kann. Indem ich zum Beispiel bestimmte Arten von zweifelhaften Jobangeboten nicht annehme, bei denen viel Geld versprochen wird.»
Geschafft, zu überleben
Es war ein berührender Moment, als David sein Kurs-Diplom in Empfang nehmen konnte. Nach dem obligaten Foto mit dem Direktor der FEC fragte er mich, ob es auch möglich wäre, einen Rahmen zu bekommen. Schliesslich sei es sein erstes Diplom und er hätte es gerne an die Wand gehängt, so wie man es in den Filmen sieht. Während der Abschlussfeier bedankte sich David für unsere Arbeit: «Die FEC hat mir geholfen, im Leben weiterzukommen. Mit ihrer Unterstützung habe ich es geschafft, zu überleben! Niemanden sonst kümmert sich um Menschen, die auf der Strasse leben – darunter sind auch viele Mädchen, sogar sehr junge. Sie sind noch verletzlicher als wir Jungs. Mit Lisa können sie über heikle Themen sprechen. Es ist sehr wertvoll, dass sie bei den Aktivitäten dabei ist.»
Von Lisa Macconi | 20. November 2020 | Bolivien
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