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22.06.2020 | Sambia, Bildung

«Auf den lokalen Kontext kommts an»

In Afrika versuchen internationale Organisationen und lokale Unternehmen digitale Bildung aufs Land zu bringen. Geraldine de Bastion und Melanie Stilz, zwei Netzwerkerinnen in der Entwicklungszusammenarbeit, über Chancen, Risiken und Nebenwirkungen digitaler Projekte. 

Begeistert vom Lernen am Computer: Für die Schulkinder sind Tablets ein Anreiz, in die Schule zu gehen. (Bild: Comundo / Stefanie Hallbert,

HORIZONTE: Welche Chancen eröffnet digitale Bildung in armen Ländern des Globalen Südens?
Melanie Stilz: Für uns alle bringt Digitalisierung schnelle und einfache Vervielfältigung und Verbreitung von Inhalten. Dabei haben nicht mehr einzelne Bildungsanbieter und Hersteller ein Monopol, sondern es gibt immer mehr offene, teils kostenlose Bildungsressourcen sowie verbesserte Infrastrukturen und Geräte, um die Bildungsinhalte zu verbreiten und zu empfangen.
Geraldine de Bastion: Auch hat es zunehmend neue Strukturen und Akteure. Unsere Agentur (konnektiv.de, Red.) arbeitet eng mit dem Verein Global Innovation Gathering zusammen, einem globalen Netzwerk von offenen Werkstätten, so genannte Innovation Hubs viele davon auch in afrikanischen Ländern. Dieser offenen Werkstätten verstehen sich oft als Teil einer neuen digitalen Bildungsinfrastruktur. Gerade da, wo es an Materialien oder Unterrichtsformen mangelt, bilden solche Stätten oft die fehlenden Puzzleteile.

Ist durch die Digitalisierung eine gleichberechtigte und gleichwertige Bildung für alle erreichbar?
MS: Das Potenzial, benachteiligten Menschen über digitale Kanäle Zugang zu Bildung zu verschaffen, ist gross. Die meisten digitalen Entwicklungen und Angebote sind jedoch marktgetrieben und zielen nicht auf das Gemeinwohl ab. Lokale Regierungen und Technologieunternehmen könnten hier gegensteuern, z.B. durch kostenlosen Internetempfang, Ausbau von technischer Infrastruktur, sprachliche Übersetzungen von Inhalten, Bildungsausbau usw. Auch die Ausbildung der Lehrpersonen in Unterrichtsmethodik im Umgang mit digitalen Lerninhalten und Geräten ist ein grosses Thema. Die Entwicklungszusammenarbeit kann hier unterstützen.

Verschiedene internationale NGO, so auch Comundo, engagieren sich in ruralen Gebieten Afrikas in digitalen Bildungsprojekten. Doch Stromknappheit, defekte Geräte, fehlender Support, starre Lehr- und Lernprogramme, mangelnde Anwenderkenntnisse der Lehrpersonen u.a. erschweren eine flächendeckende Einführung. Manche Organisationen investieren deshalb lieber in den Bau von Schulen als in Projekte für digital gestützte Bildung.
GdB: Dieses «entweder oder» zwischen Digitalisierung und anderen Entwicklungsmassnahmen für die Bildung ist absurd. Heute müssen wir bei allem, was wir entwickeln, digital mitdenken. Afrika darf bei der Digitalisierung nicht abhängen! Meist werden Computer und Lernprogramme aus dem Ausland importiert und die Geräte sind nicht beständig gegen Feuchtigkeit, Hitze und Staub oder die Lernprogramme sind nicht abgestimmt auf den Kontext vor Ort. Hier können lokale Anbieter einspringen und kooperativ mit Behörden, Unternehmen und Investoren Lösungen entwickeln. Innovative Ansätze werden gebraucht und gesucht. Es gibt viele wegweisende Projekte, die aber noch in keinem Land flächendeckend eingesetzt werden, sondern noch Pilotcharakter haben.   

MS: Auch wenn die infrastrukturellen Probleme unüberwindbar scheinen und der Radius der Begünstigten frustrierend klein ist, braucht es die Digitalisierungsprojekte der Entwicklungszusammenarbeit. Hier werden praktische Erfahrungen gemacht und evaluiert. Nur durch solche Testläufe zeigt sich, was funktioniert und was nicht, wo es Potenzial gibt und wo die Grenzen sind.

Und welche Lösungsansätze können aus solchen Digitalisierungsprojekten abgeleitet werden?
MS: In Afghanistan habe ich einmal ein Projekt mitevaluiert, das Schulkinder mit Laptops ausrüstete. Zwar hatten die Kinder ihre Freude an den Geräten und nutzten sie teilweise auch, doch die Lehrkräfte wurden bei der Konzeption des Schulunterrichts übergangen und sie kamen in der Unterrichtsgestaltung mit den digitalen Inhalten nicht zurecht. Man muss die Logik des Schulsystems miteinbeziehen, wenn man digitale Bildungsprojekte plant. Forschung und Evaluation haben ergeben, dass die Arbeit mit den Lehrpersonen den grössten Gewinn und die grösste Nachhaltigkeit bringt. In Bezug auf die Geräte wird in vielen afrikanischen Ländern ähnlich gehandelt wie nach den Prinzipien der Maker-Bewegung: Etwas Kaputtes schmeisst man nicht weg, es gibt die kreativsten Ansätze, Dinge zu reparieren.

GdB: Hinzu kommt Capacity-Building: Wenn man Computergeräte, Strom, Solarpanele usw. einführt, muss dies Hand in Hand gehen mit einer Schulung von lokalen Partnern. Oder umgekehrt schaut man, welche Infrastrukturen und Dienstleister in der Region vorhanden sind, und baut kooperativ darauf auf. Bei der digitalen Transformation ist der lokale Kontext entscheidend. Und: Es braucht die Entwicklung digital gestützter Bildung in den Schulen genauso und gleichzeitig wie die Förderung der Bildung im technischen Bereich.

Géraldine de Bastion (links) und Melanie Stilz, Mitgründerinnen der Agentur Konnektiv in Berlin, die international Entwicklungsprojekte im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie konzipiert, managt und evaluiert.

Von | 22. Juni 2020 | Sambia

 

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Claire - geschrieben am 25.06.2020 - 08:49 Uhr

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