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16.04.2020 | Peru, Menschenrechte und Demokratie

Coronakrise: Eine Chance für mehr Gerechtigkeit?

In Peru werden die Massnahmen zur Eindämmung des Coronavirus für viele Menschen zunehmend existenzbedrohend. Comundo-Fachperson Nicole Maron reflektiert, inwiefern die Krise auch Chancen bietet; zum Beispiel, um bestehende Denkmodelle für die globale Wirtschaft zu überdenken und Alternativen für mehr weltweite Gerechtigkeit zu erarbeiten. 

Eine Empanada-Verkäuferin bietet trotz Verbot ihre Produkte auf der Strasse an, da sie nur von den Tageseinnahmen überlebt. © Nicole Maron

Text: Nicole Maron

Keine Frage: Auch Peru steckt voll in der Corona-Krise. Bis am Tag 39 nach der Identifizierung des ersten Falls wurden fast 10'000 Menschen positiv getestet. Die peruanische Regierung unter Präsident Martín Vizcarra hat ziemlich schnell strikte Massnahmen verhängt: Seit dem 16. März und bis mindestens am 26. April befindet sich das ganze Land in obligatorischer Quarantäne. Ein Grossteil der Bevölkerung in der Region Puno – genauso wie in den meisten anderen Regionen Perus – ist im informellen Sektor tätig und lebt von den Tageseinnahmen, die nun für die meisten wegfallen. Die Regierung unterstützt zwar bedürftige Familien mit einer Sonderrente, doch die Kriterien sind intransparent und die Ermittlung der Begünstigten teilweise nicht nachvollziehbar.  

Not macht erfinderisch

Trotz des Verbots kehren immer mehr Strassenhändler/-innen auf die Strassen Punos zurück, um mit dem Verkauf von Fruchtsaft, Chicha (Bier aus dem Andenraum) sowie hausgemachten Tamales (Gericht mit Maisteig, das in Bananenblättern gegart wird) oder Empanadas (Fleisch- oder Gemüsetaschen) ein kleines Einkommen zu generieren. Die jungen Eheleute Alvaro und Maria (Namen geändert) sind, wie viele andere auch, dazu übergegangen, selbstgenähte Masken zu verkaufen. Alvaro ist Taxifahrer und gehört damit einer der Branchen an, deren Verdienst vom einen auf den anderen Tag vollkommen ausgeblieben ist. «Wir haben zwei kleine Kinder und mussten uns auf die Schnelle überlegen, was wir tun können, um zumindest die minimalsten Lebenskosten zu decken», sagt Maria. «Mit dem Maskenverkauf nehmen wir zurzeit maximal 20 Soles pro Tag ein.» Der gesetzlich definierte Mindestlohn in Peru liegt zurzeit bei 30 Soles pro Tag (8,50 Franken).

Vor dem einzigen Supermarkt in Puno bilden sich während der Corona-Quarantäne täglich lange Schlangen. © Nicole Maron
Vor dem einzigen Supermarkt in Puno bilden sich während der Corona-Quarantäne täglich lange Schlangen. © Nicole Maron

Gefährdete Menschen in ländlichen Regionen 

Für meine Partnerorganisation IDECA (Instituto de Estudios de las Culturas Andinas) stellen die Corona-Massnahmen eine Herausforderung dar, da ein wichtiger Teil unserer Arbeit aus Weiterbildungs- und Sensibilisierungsworkshops in ländlichen Gemeinden besteht. Wir müssen davon ausgehen, dass dies erst Wochen oder Monate nach dem Ende der Quarantäne wieder möglich sein wird – nicht nur auf Grund von staatlichen Restriktionen, sondern auch, weil viele indigene Gemeinden ihre Grenzen strikt kontrollieren, um sich zu schützen. Menschen im ländlichen Gebiet haben oft keinen Zugang zum Gesundheitssystem und sind deshalb besonders verletzlich. Inzwischen nutze ich die Zeit, um Material wie Videos, Infografiken oder Broschüren für die vorgesehenen Workshops vorzubereiten, die man im Notfall auch digital nutzen könnte.

An traditionelles indigenes Wissen anknüpfen 

Zurzeit halte ich es für zentral, nicht stur an vorgesehenen Projektinhalten, -zielen und Indikatoren festzuhalten. Die ganze Welt befindet sich in einem Ausnahmezustand, so dass Flexibilität gefordert ist und wir versuchen sollten, das Beste aus der aktuellen Krise zu machen. Es ist vielleicht auch der richtige Zeitpunkt, um bestehende Wirtschaftsmodelle zu hinterfragen, die oft mit grossen Ungerechtigkeiten und der Ausbeutung von Mensch und Umwelt verbunden sind. Dies zeigt sich auch in Peru, wo Comundo vor allem auf die Stärkung indigener Völker fokussiert. Ihre Rechte und Lebensgrundlagen sind durch die Rohstoffindustrie und den Klimawandel stark bedroht. Dabei geht es darum, sowohl hier vor Ort als auch im Globalen Norden Sensibilisierungsarbeit zu leisten und aufzuzeigen, welche Konsequenzen weltweite Zusammenhänge auf den konkreten lokalen Kontext haben. 

IDECA erarbeitet gemeinsam mit indigenen Organisationen alternative Modelle, die an traditionelles indigenes Wissen anknüpfen, welches in Peru von offizieller Seite oft abgewertet und als rückständig betrachtet wird. In unserem Kontext zeigt sich jedoch immer wieder, dass gerade die andine Kosmovision, in welcher der Mensch nicht im Zentrum steht, sondern ein Teil des Ganzen darstellt, wertvolle Inputs für den Erhalt und die nachhaltige Nutzung der Lebensgrundlagen bietet.

Comundo-Fachperson Nicole Maron während eines Workshops für indigene Frauen in Santa Cruz, Bolivien (mit ihrer früheren Partnerorganisation ACOVICRUZ)
Comundo-Fachperson Nicole Maron während eines Workshops für indigene Frauen in Santa Cruz, Bolivien (mit ihrer früheren Partnerorganisation ACOVICRUZ)

Alternativen zum Fortschritt

Die Hintergründe und Konsequenzen der Corona-Krise werden sicher auch Teil der Debatten in unseren Workshops sein. Eins der Ziele besteht darin, die Frauen darin zu unterstützen, auf Gemeindeebene politische Initiativen und Gesetzesentwürfe einzubringen, die ihre Situation direkt verbessern. Das aktuelle Geschehen zeigt, wie fragil unser westliches Wirtschaftsmodell ist und dass die vom Menschen manipulierten Abläufe und Prozesse ausser Kontrolle geraten können. Alternative Modelle auf lokaler und regionaler Ebene sind dringend von Nöten, so dass die Corona-Krise durchaus als Argument dienen kann, um politisch mehr Druck zu machen. Wir brauchen Alternativen zu dem, was man «Entwicklung», «Fortschritt» und «moderne Zivilisation» nennt – Alternativen, die allen Menschen weltweit, auch sozial, politisch oder wirtschaftlich benachteiligten Bevölkerungsgruppen, ein besseres Leben ermöglichen. 


Was können wir Ihrer Meinung nach aus der Corona-Krise lernen? Wie beeinflusst sie das globale Zusammenleben? 
Hinterlassen Sie einen Kommentar! Wir sind gespannt auf Ihre Gedanken dazu.

 

Von Nicole Maron | 16. April 2020 | Peru

 

3 Kommentare

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scherri - geschrieben am 16.04.2020 - 11:31 Uhr

Super Beitrag!

Danielito - geschrieben am 16.04.2020 - 15:18 Uhr

Die Krise zeigt uns klar auf, wie fragil unterdessen alles zusammenhängt auf der Welt und dass wir die grosse globalen Probleme der Meinschheit nur gemeinsam in den Griff kriegen. Weiterhin Alleingänge fahren die Menscheit unweigerlich an die Wand!

Jameswig - geschrieben am 15.08.2022 - 14:08 Uhr

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Nicole Maron

Journalistin und Erwachsenenbildnerin

Die Comundo-Fachperson und Journalistin Nicole Maron stärkte in Peru die Rechte von Frauen und indigener Bevölkerungsgruppen. Sie arbeitete bis April 2021 mit dem Institut IDECA zusammen und unterstützte es dabei, seinen Anliegen in der Öffentlichkeit mehr Aufmerksamkeit zu verleihen.